Bahn frei für mehr Verbraucherschutz

24.04.09

Der Deutsche Bundestag hat heute den von Bundesjustizministerin Zypries vorgelegten Entwurf der Bundesregierung für ein Fahrgastrechtegesetz verabschiedet. Künftig erhalten Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer vor allem bei Verspätungen und Zugausfällen mehr Rechte. Das Gesetz beruht auf einer EG-Verordnung, die ab dem 3. Dezember 2009 europaweit gelten wird. Das neue Fahrgastrechtegesetz verbessert die Rechte der Bahnreisenden in Deutschland bereits zur Sommerreisesaison 2009 und erweitert sie darüber hinaus gegenüber dem europäischen Recht.

"Es ist gut, dass den Bahnreisenden in Deutschland schon bald mehr Rechte bei Verspätungen und Zugausfällen zustehen. Die neuen Regelungen sollen bereits zur Sommerreisesaison gelten. Wir wollten nicht auf das Inkrafttreten der EG-Verordnung im Dezember 2009 warten," sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.

"Jährlich sind Millionen von Fahrgästen in Deutschland von Verspätungen betroffen. Sie haben künftig bei größeren Verspätungen einen gesetzlichen Anspruch, einen Teil des Fahrpreises erstattet zu bekommen. Das gilt nicht nur für Verspätungen eines Zuges, sondern auch dann, wenn ein Fahrgast wegen einer vergleichsweise kleinen Verspätung einen Anschluss verpasst hat. Im Nahverkehr werden die Fahrgäste außerdem bei Verspätungen oder Zugausfällen auf andere Verkehrsmittel ausweichen können, gegebenenfalls sogar auf ein Taxi. Mir war es wichtig, dass wir für den Bahnverkehr Regelungen gefunden haben, die nicht zu einer drastischen Erhöhung der Fahrpreise führen und den Wettbewerb nicht verzerren. Ich appelliere an die Eisenbahnunternehmen, nun schnellstmöglich nicht nur ihre Beförderungsbedingungen anzugleichen, sondern auch die technischen Voraussetzungen zu schaffen, damit das neue Recht Wirkung entfalten kann. Insbesondere hoffe ich, dass künftig auch in Hochgeschwindigkeitszügen die Mitnahme von Fahrrädern möglich sein wird", erklärte Zypries.

Mit dem Gesetz zur Anpassung eisenbahnrechtlicher Vorschriften an die Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr werden Vorgaben der Europäischen Union aufgegriffen. Soweit grenzüberschreitende Schienenverkehrsdienste betroffen sind, ist eine Abweichung - und damit auch die Gewährung von weitergehenden Fahrgastrechten - von den Regelungen der EG-Verordnung vollständig ausgeschlossen. Soweit inländische Schienenfernverkehrsdienste berührt sind, wären allenfalls zeitlich begrenzte Abweichungen gestattet gewesen. Diese hätten aber spätestens in 15 Jahren aufgehoben werden müssen und zu Wettbewerbsnachteilen des innerstaatlichen Schienenverkehrs gegenüber einem grenzüberschreitenden Verkehr geführt.

Im Einzelnen sieht das vom Deutschen Bundestag verabschiedete Gesetz folgende Verbesserungen für den Fahrgast vor:

1. Unpünktlichkeit und Ausfall von Zügen im Fern- und Nahverkehr

* Hat ein Zug Verspätung oder fällt er aus, muss das Eisenbahnunternehmen dem Fahrgast künftig eine Entschädigung zahlen. Diese wird wie folgt berechnet: Kommt der Fahrgast 60 Minuten verspätet am Zielort an, sind 25 % des Fahrpreises zu erstatten. Liegt die Verspätung bei 120 Minuten, sind 50 % des Fahrpreises zu erstatten. Der Betrag muss dem Fahrgast auf Wunsch bar ausgezahlt werden. Außerdem muss das Eisenbahnunternehmen bei einer Verspätung von mindestens 60 Minuten eine kostenlose Hotelunterkunft anbieten, wenn wegen der Unpünktlichkeit oder des Ausfalls eine Übernachtung erforderlich wird. Maßgeblich ist die verspätete Ankunft am Zielort.

Beispiel: Fahrgast F möchte mit dem Zug von Darmstadt nach Kiel fahren. Die Fahrkarte hat 117 Euro gekostet. Der Regionalzug soll um 13.48 Uhr in Frankfurt am Main ankommen; der vorgesehene Anschlusszug soll um 13.58 Uhr nach Kiel abfahren und dort um 18.46 Uhr ankommen. Der Regionalzug hat in Frankfurt am Main aber 30 Minuten Verspätung, so dass F den Zug nach Kiel verpasst. F kommt erst um 20.02 Uhr in Kiel an. Da F sein Ziel mehr als 60 Minuten verspätet erreicht, erhält er 25 % des Fahrpreises, also 29,25 Euro, erstattet.

* Sonderregeln gelten für Zeitfahrkarten wie etwa die Bahncard 100. Hier greifen die genannten Pauschalen nicht. In diesen Fällen sind aber die Eisenbahnunternehmen verpflichtet, in ihren Beförderungsbedingungen eine angemessene Entschädigung vorzusehen, wenn der Fahrgast wiederholt Verspätungen erleidet. Sie können sich nicht vollständig von ihrer Ersatzpflicht freizeichnen.
* Das Eisenbahnunternehmen haftet nicht, wenn die Verspätung durch außerhalb des Eisenbahnbetriebs liegende Umstände verursacht wird und das Eisenbahnunternehmen diese Umstände trotz der gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden kann.

Beispiel: Einem LKW-Fahrer gelingt es nicht mehr, an einem geschlossenen Bahnübergang zu halten, weil die Bremsen versagen. Der Lkw durchbricht die Schranken. Der Zugführer des ankommenden Zuges kann zwar mit einer Vollbremsung eine Kollision vermeiden. Der Zug muss aber über eine Stunde am Unfallort warten, bis die Polizei die Gleise zur Weiterfahrt freigibt. Obwohl der Fahrgast seinen Zielort erst mit 90 Minuten Verspätung erreicht, ist das Eisenbahnunternehmen nicht verpflichtet, ihm einen Teil des Fahrpreises zu erstatten.

* Das Eisenbahnunternehmen kann von einer Zahlung absehen, wenn der zu erstattende Betrag unter 4 EUR liegt (Bagatellgrenze).

Beispiel: F fährt mit dem Regionalzug von Lathen nach Emsdetten. Der Fahrpreis beträgt 15,20 Euro, die planmäßige Ankunft ist um 14.36 Uhr. Tatsächlich erreicht F Emsdetten aber eine Stunde später. F erhält dennoch keine Fahrpreiserstattung in Höhe von 25 % des Fahrpreises, da der zu erstattende Betrag 3,80 Euro betragen würde und damit unterhalb der Bagatellgrenze liegt.

*
Zeich­net sich eine Ver­spä­tung von mehr als 60 Mi­nu­ten ab, kann der Fahr­gast auch von einer Fahrt ab­se­hen und Rück­er­stat­tung des Fahr­prei­ses ver­lan­gen oder die Fahrt zu einem spä­te­ren Zeit­punkt auch mit ge­än­der­ter Stre­cken­füh­rung durch­füh­ren.

2. Unpünktlichkeit und Ausfall von Zügen im Nahverkehr

Für den Nahverkehr werden im Vergleich zu den europäischen Vorgaben weitergehende Regelungen getroffen. Um Nahverkehr handelt es sich, wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Zuges die Reiseweite nicht mehr als 50 Kilometer oder die Reisezeit nicht mehr als eine Stunde beträgt. Hier ist eine anteilige Fahrpreiserstattung in der Regel nur von geringer Attraktivität, weil die Fahrkarten vergleichsweise preiswert sind. Im Vordergrund steht hier vor allem das Interesse des Fahrgastes, sein Nahverkehrsziel so schnell wie möglich zu erreichen.

* Ist abzusehen, dass der Fahrgast wegen einer Unpünktlichkeit oder eines Ausfalls eines Zuges im Nahverkehr wenigstens 20 Minuten verspätet sein Ziel erreicht, kann er einen anderen Zug, insbesondere auch einen Zug des Fernverkehrs nutzen. Für diesen anderen Zug darf jedoch keine umfassende Reservierungspflicht - wie beispielsweise beim City Night Line oder ICE Sprinter - bestehen oder dieser eine Sonderfahrt durchführen.

Beispiel: F erwirbt eine Fahrkarte für den Regional-Express von Aschaffenburg nach Wiesbaden. Die fahrplanmäßige Abfahrt ist um 17.16 Uhr, die fahrplanmäßige Ankunft um 18.55 Uhr. F erfährt auf dem Bahnsteig, dass der Regional-Express erst mit einer Verspätung von 40 Minuten in Aschaffenburg und voraussichtlich sodann auch in Wiesbaden eintreffen wird. F darf nun anstelle des Regional-Expresses den ICE von Aschaffenburg nach Frankfurt am Main benutzen, so dass er Wiesbaden um 18.58 Uhr erreicht. Hat er hierdurch Zusatzkosten gehabt, kann er diese ersetzt verlangen.

* Wenn die fahrplanmäßige Ankunftszeit in die Zeit zwischen 0.00 Uhr und 5.00 Uhr fällt, kann der Fahrgast bei einer Verspätung von mindestens 60 Minuten auch auf ein Taxi umsteigen, wenn keine preisgünstigeren öffentlichen Verkehrsmittel mehr zur Verfügung stehen, um den Zielort zu erreichen. Der Erstattungsanspruch ist allerdings auf einen Betrag von 80 Euro begrenzt.

Beispiel: F möchte nach einem Opernbesuch am Mittwochabend um 0.41 Uhr mit dem Regional-Express von Berlin Hauptbahnhof nach Werder (Havel) fahren. Planmäßige Ankunft ist um 1.18 Uhr. Nach Ankunft auf dem Bahnhof erfährt F, dass der Zug wegen eines Defekts ausfällt. Der nächste Zug fährt erst um 4.35 Uhr. F darf sofort ein Taxi nehmen und erhält die Taxikosten bis zu einem Betrag von 80 Euro ersetzt, wenn auch kein Bus mehr fährt.

* Bei Ausfall des letzten fahrplanmäßigen Zuges des Tages kann der Fahrgast ebenfalls auf ein Taxi umsteigen, wenn er seinen Zielort ohne die Nutzung des anderen Verkehrsmittels nicht mehr bis um 24.00 Uhr erreichen kann. Auch hier ist der Erstattungsanspruch auf einen Betrag von 80 Euro begrenzt.

Beispiel: F will nach einem Besuch bei Freunden in Menden im Sauerland am Sonntagabend mit der Regionalbahn zurück nach Balve im Sauerland fahren. Auf dem Bahnsteig des Bahnhofs in Menden angekommen erfährt er, dass der letzte fahrplanmäßige Zug des Tages um 18.45 Uhr wegen eines Fahrwerkschadens ausfällt. Eine andere Möglichkeit, seinen Zielort mit öffentlichen Verkehrsmitteln bis um 24.00 Uhr zu erreichen, hat er nicht. F darf deshalb sofort ein Taxi nehmen und erhält die Kosten bis zu einem Betrag in Höhe von 80 Euro erstattet.

3. Haftung bei Personenschäden

Bei einem Eisenbahnunfall müssen die Eisenbahnunternehmen, soweit ein Fahrgast getötet oder verletzt wurde, künftig einen Vorschuss zahlen, der die unmittelbaren wirtschaftlichen Bedürfnisse des geschädigten Fahrgasts oder seiner Angehörigen deckt. Wird ein Fahrgast getötet, beträgt dieser Vorschuss mindestens 21.000 Euro. Wenn die Verordnung in Kraft tritt, werden europaweit außerdem einheitliche Haftungsregeln und Mindestentschädigungssummen bei Personenschäden gelten. Dann kann kein Mitgliedstaat mehr geringere Haftungshöchstsummen festschreiben als umgerechnet ca. 200.000 Euro.

4. Rechte von Personen mit eingeschränkter Mobilität

Die Rechte von behinderten Personen und sonstigen Personen mit eingeschränkter Mobilität, etwa alte Menschen oder kleine Kinder, werden gestärkt. Eisenbahnunternehmen und Bahnhofsbetreiber werden verpflichtet, gemeinsam mit den Interessenvertretern der genannten Gruppen Zugangsregelungen für die Beförderung aufzustellen. Sie müssen dafür sorgen, dass der Bahnhof, die Bahnsteige, die Fahrzeuge und andere Einrichtungen für Personen mit eingeschränkter Mobilität zugänglich sind. Soweit entsprechendes Personal vorhanden ist und der Unterstützungsbedarf vorher angemeldet wurde, werden die Eisenbahnunternehmen und Bahnhofsbetreiber verpflichtet, kostenlos Unterstützung beim Ein- und Aussteigen sowie bei der Fahrt zu leisten.

5. Informationspflichten der Eisenbahnunternehmen

Die Eisenbahnunternehmen müssen die Fahrgäste beim Fahrkartenverkauf bzw. während der Fahrt insbesondere darüber informieren, welche die kürzeste und preisgünstigste Zugverbindung ist, welche Rechte der Fahrgast hat, ob der Zug Verspätung hat und welche Anschlüsse erreicht werden können. Im Nahverkehr sind die Informationspflichten aus Praktikabilitätsgründen allerdings weniger umfangreich. Zum Beispiel können die Informationen über die Anschlussverbindungen während der Fahrt entfallen. Außerdem können die Fahrgäste im Nahverkehr durch eine Zusammenfassung informiert werden. Die Information selbst kann durch Aushang oder Auslage sowie den Einsatz eines Informations- und Buchungssystems erfolgen.

6. Qualitätsmanagement, Beschwerdestellen und Schlichtung

Eisenbahnunternehmen, die Schienenpersonenfernverkehr betreiben, müssen künftig Qualitätsstandards festlegen und systematisch überprüfen. Diese beziehen sich auf Informationen, Fahrkarten, Pünktlichkeit, Zuausfälle, Sauberkeit, Kundenbefragungen, Beschwerdebearbeitung und Hilfeleistung für Personen mit Behinderungen und Personen mit eingeschränkter Mobilität. Ferner müssen alle Eisenbahnunternehmen ein Verfahren zur Bearbeitung von Beschwerden einrichten. Die Eisenbahnunternehmen sind verpflichtet, die Fahrgäste in weitem Umfang, insbesondere an auffälliger Stelle über die Kontaktdaten der unternehmenseigenen Beschwerdestelle zu unterrichten. Die Beschwerden müssen innerhalb eines Monats oder, wenn der Fahrgast hierüber unterrichtet worden ist, innerhalb von spätestens 3 Monaten beantwortet sein. Zusätzlich werden Beschwerdestellen bei den Eisenbahnaufsichtsbehörden eingerichtet, damit der Fahrgast eine Anlaufstelle hat, wenn er von einem Eisenbahnunternehmen nicht zufriedenstellend behandelt worden ist. Gesetzlich klargestellt wird schließlich, dass der Fahrgast darüber hinaus die Möglichkeit hat, eine Schlichtungsstelle anzurufen. Gedacht ist hierbei beispielsweise an die Schlichtungsstelle Mobiltät, die Schlichtungsstelle Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen und die Ombudsstelle Nahverkehr in Bayern oder an eine sonstige für die Zukunft geplante privatrechtlich organisierte verkehrsträgerübergreifende Schlichtungsstelle.

7. Inkrafttreten

Das heute vom Bundestag beschlossene Gesetz bedarf noch der Zustimmung des Bundesrates, der sich voraussichtlich am 15. Mai 2009 mit dem Gesetz befassen wird. Das Gesetz soll zwei Monate nach Verkündung in Kraft treten.


Herausgegeben vom Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des
Bundesministeriums der Justiz
Verantwortlich: Eva Schmierer; Redaktion: Dr. Thorsten Bauer, Dr. Katharina Jahntz, Harald Schütt, Ulrich Staudigl
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